Dorftherapie mit Weib und Wald

aus der SZ/BZ vom 19. Juni 2016

Schönaich: Musical „Freude“ in der Gemeindehalle mit über hundert Akteuren aus mehreren Vereinen

Mit der ersten Musicalaufführung in seiner über 100-jährigen Vereins- geschichte betrat der Musikverein Schönaich am Wochenende Neuland. Das Märchen-Musical „Freude“ mit einem Großaufgebot von 125 Aktiven sorgte für einen Besucheransturm.

Von unserem Mitarbeiter Bernd Heiden

Der Musikverein stellte mit 60 Musikern aus Jugendblasorchester und sinfonischem Blasorchester unter Leitung von Rainer Bauer zwar das Großaufgebot bei dem von Blasmusik-Spezialist Kurt Gäble vor 13 Jahren komponierten und getexteten Musical.

Mit dem 30 Köpfe starken gemischten Chor des Liederkranzes Schönaich unter Leitung von Michael Kuhn, 30 jungen Tänzerinnen des Holzgerlinger Tanzstudios Jazz Dance Workout von Marleen Friedrich-Hennes und Solveig Hennes (Bild: z), Rolf Rebmann von der Schönaicher Guckkasten-Bühne in der Rolle des Erzählers und dem Sindelfinger Ulrich von der Mülbe als Regisseur war dieses Musiktheater-Stück aber letztlich ein großes, mehrere Vereine und Gruppen sowie nicht zuletzt ein Generationen übergreifendes Projekt.

Mit Elena Boysen und Fabian Bauer hatte man sich zudem für die einzigen zwei Solistenrollen des Stücks ordentliche Verstärkung von außerhalb engagiert. Dagegen hatte das einen Kurzauftritt einlegende Rapper-Duo durchaus Stallgeruch: Patrick Schwarz war einst aktiv im Musikverein und hatte für das Musical-Gastspiel seinen Bandkumpel Patrick Blessing eingespannt.

Mit so vielen Mitwirkenden sprengte die Inszenierung deutlich den Rahmen, den der Autor vorgibt. Tanzbeteiligung sieht er nicht vor. Nach der Schönaicher Premiere aber steht fest: Es ist ein Segen, dass der Musikverein die Holzgerlinger Jazz Dance Crew ins Boot geholt hat.

Deren dynamische und variantenreiche, die Handlung nicht nur schmückende, sondern inhaltlich vertiefende Choreographien mit vielen Tanzelementen von Modern über Jazz-Dance, Hiphop bis hin zum Ballett, Volkstanz und Akrobatik, bringen mit unendlichen Kostümwechseln nicht nur Leben auf die Bühne, sie geben dem Stück auch die erfrischende Prise Modernität, ohne die das Ganze kaum goutierbar wäre.

Zwar gibt sich die von Kurt Gäble komponierte, vom Musikverein-Orchester konzentriert und sehr kompetent gespielte Musik mit ihren vielen Genre-Anleihen von Symphonik über US-amerikanische Popularmusik bis zu deutschem Schlager durchaus gegenwartsorientiert auf einer gängigen Trendwelle. Aber inhaltlich wird hier dem Vorgestern gehuldigt in einer freundlich ausgedrückt sehr einfachen Theaterform.

Denn auf der einfach dekorierten, aber funktional gestalteten Bühne, bei der statt aufwendiger Kulissen Projektionen auf eine große Hintergrundleinwand die szenische Veranschaulichung übernehmen, ist fast öfter als die Solisten der Erzähler gefragt, der das Geschehen kommentiert und schildert. Statt Schauspiel und Drama prägt damit Epik das Stück. Die Handlung wird tatsächlich mehr erzählt als gespielt. Was gespielt oder gesungen wird, ist wiederum meist nur eine szenische Wiederholung des bereits Erzählten. Was natürlich den Vorteil hat, dass das übliche Musical-Problem Textverständlichkeit von vornherein eliminiert ist.

Wobei der Text auch wegen sehr überschaubaren Inhalts sehr wenig hergibt: Ein im Stahlbeton-Glasbau hausender Geschäftsmann ist trotz erfolgreichem Businessleben schlecht drauf. Eine zunächst als buckeliges Hutzelweib auftretende Frau therapiert ihn mit einer Entführung in den Wald. Würzige Frischluft und frisches Quellwasser, anders als in der ökonomisch durchdrungenen Welt umsonst zu haben, lassen beim Business-Mensch die Lebensfreude zurück kehren. Der Besuch auf einer Dorfsause mit lustig tanzenden Ureinwohnern tut ihr Übriges. Und, wer hätt’s gedacht, das gebückt unterm Regenponcho daherschleichende Weiblein mutiert peu à peu bei Ringelreihen durch Waldesgrün und Dorfgehopse zur feschen Maid. Welche Freude.

Raus aus Stadt, Hochhaus und Kapitalismus hin zu Wald, Wasser, Weib und Dörflichkeit: Dieser Plot ist nach keiner halben Stunde abgevespert. Dass das Gäble-Musical in der Schönaicher Inszenierung dennoch in einer knappen Stunde durchgehend Unterhaltungswert hat, das verdeutlicht, dass hier viele mit Können, Kreativität und Kunstverstand zusammengekommen sind. Das machte wirklich Freude.